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Humboldt und Fuchs in Kasan

Humboldt und Fuchs in Kasan

Доклад В.Г. Дица в Омске на Международной научно-практической конференции «Живое наследие Александра фон Гумбольдта», посвящённой партнёрству общественных организаций России и Германии в сфере науки, образования и культуры

Die Deutschen Kasans kennen ganz gut den Namen des bekannten deutschen Naturforscher, Erdkundler und Forschungsreisenden Alexander von Humboldt (1769-1859), der Ende Mai (nach julianischem Kalender) 1829 während seines Aufenthaltes in Russland auf Einladung des russischen Zaren  Nikolai des I. mit einer Gruppe deutscher Wissenschaftler und dem sie begleitenden russischen Bergbauingenieur (Ober-Huttenverwalter) D.S. Menschenin in Kasan ankam. Und was besonders interessant für uns, Russlanddeutsche dieser Stadt, ist: Humboldt traf sich in Kasan mit dem bekannten deutschen Kulturträger Karl Fjodorowitsch Fuchs und wurde sein persönlicher Gast, im Weiteren stellte er vielseitige Verbindungen zu ihm her. Den Namen Fuchs (das ist unser Stolz und unsere Fahne) trägt der Verein der Russlanddeutschen unserer Stadt – Deutsche Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan, die als Mitbegründer aller heute funktionierenden Organisationen der Russlanddeutsche Kasans und Tatarstans gilt.


Karl Fuchs (dt. Karl Friedrich Fuchs) stammt von einem alten Pastorenhaus ab. Einige Generationen seiner Familie lebten in der Grafschaft Nassau-Dillenburg. Er wurde am 18. September 1776 in der Nassauer Stadt Herborn (heute Bundesland Hessen) geboren. Sein Vater, Friedrich Fuchs, bekleidete das Amt eines Professors für Geschichte und Redekunst an der Herborner Akademie und bewohnte die Amtswohnung im Herborner Schloss (2002 war ich in diesem Schloss; ich hielt einen Vortrag vor den dortigen Intellektuellen und erzählte von großen Taten ihres Landsmannes im ersten Drittel des XIX. Jahrhunderts im weiten Russland; nach meinem Vortrag wurde von den Herbornern in ihrer Stadt ein Garten mit Heilpflanzen zu Ehren Karl Fuchs eröffnet (als Gegenleistung zur Eröffnung von Karl Fuchs eines bis jetzt funktionierenden zoobotanischen Gartens in Kasan).

Karl Fuchs hatte Glück, im anregenden Milieu einer Gelehrtenfamilie von bescheidenem Wohlstand aufzuwachsen. Es ist anzunehmen, dass Karl Fuchs anfangs von seinem Vater gelehrt wurde. Es ist unbekannt, um welche Zeit Karl Fuchs sich für ein Medizinstudium entschieden und was ihn dazu bewogen hat. Vielleicht wurde seine Entscheidung von dem Großvater mütterlicherseits, Johann Adam Hoffmann (1707-1782), dem Professor für Medizin an der Herborner Akademie und dem Anleger eines botanischen Gartens in Herborn beeinflusst.

Bis 1783 studierte Karl Fuchs an der Herborner Akademie, dann setzte er sein Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Göttingen, einer der in vieler Hinsicht besten Universitäten in dem damaligen deutschsprachigen Raum, fort. Nachdem er die medizinische Fakultät absolviert hatte, ging er nach Marburg am Lahn, wo er am 13.10.1798 zum Doktor promovierte. Seine Dissertation wurde den Problemen der Pflanzensystematisierung gewidmet. Die kurze, anonyme, bis zu unseren Tagen erhalten gebliebene Rezension bewertet sie als einen würdigen Beitrag zur Geschichte der Literatur über die Heilpflanzenkunde.


1800 übersiedelt Karl Fuchs nach Russland und dient einige Zeit als Regimentsarzt in Sankt-Petersburg. In seiner zweiten Heimat wird er Karl Fjodorowitsch genannt, und unter diesem, neu erworbenen Vatersnamen ging er in die russische Geschichte ein und so blieb er im Gedächtnis der Russen. Anfang 1800 bereist Karl Fuchs Russland zu seinen naturwissenschaftlichen, unter anderem auch botanischen Zwecken. 1804 wird Karl Fuchs zum Arzt an der Botschaft des Grafen Golowkin in China ernannt und Anfang Juli 1805 kommt er zusammen mit den Mitarbeitern der Botschaft auf der Durchreise nach Osten in Kasan an. Er blieb aber der Botschaftsdelegation zurück – in Kasan wurde er krank. Dabei erfuhr er von einer unbesetzten Stelle am Lehrstuhl für Naturgeschichte an der hiesigen Universität und reichte einen Ernennungsantrag für diesen Lehrstuhl ein. Und am 4. September 1805 wird Karl Fuchs auf Empfehlung von M.N. Murawjow, seinem Freund, dem Minister für Volksbildung und dem Kurator des Moskauer Lehrbezirkes zum Professor für Naturgeschichte und Botanik an der eben eröffneten Kasaner Universität ernannt. Im Dezember 1805 kommt Karl Fuchs in Kasan an, um hier seine letzten 40 Lebensjahre zu verbringen und eine unauslöschliche Spur in der Geschichte dieser Stadt zu hinterlassen.

Die ersten zwölf Jahre seiner Tätigkeit an der Kasaner Universität war Fuchs Ordinarius für Naturgeschichte und Botanik; am 11. Januar 1818 wurde er an den Lehrstuhl für Pathologie, Therapie und Klinik versetzt; vom 17. April 1820 bis zum 13. Juli 1823 war er Dekan an der ärztlichen Abteilung, und vom 13. Juli 1823 bis zum 25. August 1827 bekleidete er das Amt des Rektors der Universität. Von 1827 bis 1828 unterrichtete Karl Fuchs Zoologie, und danach ausschließlich medizinische Fächer. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit und der Lehrtätigkeit übte er übrigens auch das Amt des Universitätsbibliothekars aus.

Seit den ersten Tagen seiner Tätigkeit an der Kasaner Universität übernahm Karl Fuchs auch die Leitung der laut Universitätssatzung vom 5. November 1804 gegründeten Lehrkabinette für Naturgeschichte und für Mineralogie; er ist ihr erster Leiter. Selbst nach seinem Übergang zum Lehrstuhl für Pathologie, Therapie und Klinik blieb er Leiter des Lehrkabinetts für Naturgeschichte. Und bereits im Frühling 1806, d.h. von Anbeginn seiner Tätigkeit an der Universität legt er den ersten botanischen Garten der Kasaner Universität an.

Karl Fuchs, der fünfte Rektor der Kasaner Universität, wurde zum zweiten Rektor deutscher Abstammung nach dem Österreicher I.O. Braun, der im Januar 1819 gestorben war. Gerade in den Jahren seiner Rektorschaft wurde das Hauptgebäude der Universität mit der berühmten Aula und der Kirche errichtet; es wurden auch ein Chemielabor und ein Lehrkabinett für Physik eingerichtet, es wurde ein neuer botanischer Garten am Ufer des Kabansees  angelegt und vom zukünftigen hervorragenden Mathematiker N.I. Lobatschewski wurde ein Vortrag über Grundlagen moderner Geometrie gehalten, der in die Geschichte einging. Beginnend mit Karl Fuchs stehen an der Spitze der Universität die größten und renommierten Wissenschaftler. Es sei der sechste, der siebte, der achte und der neunte Rektor zu erwähnen: das sind der obenerwähnte Mathematiker N. Lobatschewski, der Astronom I.M. Simonow, der Mongolei- und Tibetforscher O.M. Kowalewski, der Chemiker A.M. Butlerow. Jeder von ihnen würde jeder Universität große Ehre machen. Und in dieser Reihe von hervorragenden Menschen leuchtet auch der Name von Karl Fuchs. Mehr als das: all diese Rektoren und anschließend die Mehrheit der Universitätskorporation, gestützt auf die von Karl Fuchs aus Deutschland mitgebrachte Tradition, bahnten hartnäckig und Schritt für Schritt einen Weg zur Unabhängigkeit der Kasaner Universität unter den Bedingungen des Obskurantismus, der Reaktion und der Willkür der hohen Beamten.

Am 6. Mai 1833 wird Karl Fuchs der Titel eines verdienten Professors zuerkannt. Am ersten Juli 1833 verlässt er seinen Universitätsdienst.

Selbstverständlich ist Karl Fuchs im Gedächtnis der Zeitgenossen und der Nachkommen nicht nur als Universitätsprofessor geblieben. Sein Talent war vielseitig, und sein Herz war voll von Gutmütigkeit. Selbst die kürzeste Übersicht seines Lebenswerkes lässt uns Karl Fuchs als einen der beliebtesten Bürger Kasans, als einen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Arzt, als einen der ersten und besten Heimatforscher des Wolga-Kama-Gebiets, als einen Forschungsreisenden, Naturforscher und Sprachwissenschaftler, als Anthropologen und Numismatiker, als Archäologen und Ethnographen, als Historiker, Journalisten und Schriftsteller und als einen sehr liebenswürdigen Menschen, der 46 Jahre seines erstaunlich wirksamen und liebevollen Lebens seinem „zweiten Vaterland“, wie Karl Fuchs selbst sagte, gewidmet hat, sehr lebhaft vorstellen.

Noch 1806 wurde Karl Fuchs auf Empfehlung des Inspektors für Angelegenheiten der staatlichen Studenten I.F. Jakowkin zum Arzt am Gymnasiumskrankenhaus ernannt. Aber als die beste Zeit seiner ärztlichen Praxis in der Stadt und im Kasaner Gebiet gilt die 20-jährige Zeitspanne von 1810 bis 1830. Zu den für Karl Fuchs schwierigsten Jahren wurden die Jahre 1812, 1813, und teilweise das Jahr 1814, denn die Stadt wurde wegen des Zustroms von Umsiedlern während  des russisch-französischen  Krieges von vielen Krankheiten heimgesucht. Beinahe wäre er selber Opfer des Typhus geworden.  Im Sommer 1831 bekämpfte er auf Bitte des Innenministers Russlands A.A. Sakrewski als Leiter einer Expedition von Medizinstudenten die Choleraseuche in Nishnij Nowgorod. Die Bewohner Nishnij Nowgorods waren Karl Fjodorowitsch dankbar.

Die Tätigkeit  von Karl Fuchs entsprach  den höchsten Anforderungen der ärztlichen  Ethik. Niemand konnte ihm seine „Palme des Sieges“ in der Behandlung von inneren Krankheiten streitig machen, so einer seiner Zeitgenossen. Schon frühmorgens war sein Sprechzimmer voll von Patienten. Der Professor schenkte die gleiche Aufmerksamkeit sowohl den reichen, als auch den armen Kranken. Für viele arme Patienten schrieb Karl Fuchs Rezepte aus, auf die sie dann in einer Sonderapotheke ihre von Fuchs selbst bezahlten Arzneien kostenfrei erhielten. Von weit her kamen die Vertreter verschiedener Völkerschaften  an der Wolga (Tataren, Tschuwaschen, Udmurten, Marier, Mordwine) und versuchten, in die Sprechstunde von Karl Fuchs zu kommen, denn sie wussten aus Erfahrung oder vom Hörensagen davon, dass der gutmütige Deutsche jeden Kranken freundlich und aufmerksam untersuchte. Nach seiner Ankunft in Kasan lernte er nicht nur Russisch, sondern auch Tatarisch. Infolgedessen verdiente er ein so großes Vertrauen bei den Kasaner Tataren, dass er – ein Nichtmuslime – zur  ärztlichen Behandlung von tatarischen Frauen zugelassen war. Er hatte sogar sein Dienstsiegel mit der Überschrift „Tabib Fuchs“.

Mehrmals bereiste Fuchs als praktizierender Arzt und Ethnograph das Kasaner Gebiet. Fuchs unternahm als erster in der europäischen Wissenschaft eine gründliche ethnographische Untersuchung der Kasaner Tataren.  Sehr tiefgründig studierte er die entsprechenden Probleme der Archäologie, der Geschichte und der Sprachwissenschaft. Und nicht zufällig kaufte er sein Wohnhaus (heute Moskowskaja Straße 58) an der Grenze zwischen dem tatarischen und dem russischen Stadtteil. Die veröffentlichte objektive Charakteristik der Ethnie der Kasaner Tataren und ihrer nationalen Kultur trug wesentlich zur Festigung der Freundschaftsbeziehungen zwischen Tataren und Russen bei. Der Nebenfluss der Kasanka, der Bulak, trennte damals den tatarischen Stadtteil von dem russischen. Der Heimathistoriker N.I. Worobjow äußerte sich darüber bildhaft: „Fuchs gilt als einer der ersten Steine der Brücke über den Bulak, derer Mission ist, das russische und das tatarische Volk durch die Bande der Freundschaft zu vereinen, ohne die innere Freiheit beider Völker anzugreifen“.              

Auf seinen Forschungsreisen sammelte Karl Fuchs eine reiche orientalische Münzensammlung. Mit Recht kann er als erster Sammler von Münzen  der Goldenen Horde gelten. Ch.M. Fren, der bekannte Orientalist, der Zeitgenosse und der Kollege von Fuchs, schätzte die numismatischen Forschungen von Karl Fjodorowitsch sehr hoch ein. Es ist bekannt, dass Fuchs 1829 über  Alexander von Humboldt eine Sammlung der bei den Ausgrabungen der uralten Stadt Bolgar (damals Bulgary) gefundenen Münzen dem Kaisermuseum in Berlin als Geschenk übergab.

1823 wurde Fuchs vom Vizepräsidenten des Bergkollegiums, Senator W.J. Sojmonow, auf Zarenerlass zur gemeinsamen Besichtigung der Sibirischen Bergwerke eingeladen. Fuchs war der erste, der dem Senator berichtete, dass das Uralgebirge eine unerschöpfliche Schatzkammer von Edelmetallen darstellt, deren Reichtümer die von Amerika weit übertreffen. Dieser Gedanke von Fuchs wurde später von Alexander von Humboldt übernommen.

Karl Fuchs war auch ein sehr guter Publizist, einer der Gründer der Kasaner Presse. Regelmäßig veröffentlichte er die Ergebnisse seiner verschiedenartigen und zahlreichen Untersuchungen in der ersten, durch seine unmittelbare Teilnahme und Unterstützung gegründeten Zeitung „Kasaner Nachrichten“ und in den ersten Kasaner Zeitschriften „Kasaner Anzeiger“ und „Wolga-Ameise“. Von ganz besonderem Interesse für einen wissbegierigen Leser war die Zeitschrift „Wolga-Ameise“, gegründet von den um Karl Fuchs vereinten Wissenschaftlern und Literaten. Sehr lehrreich waren seine  Beiträge wie „Der Gesundheitszustand der Bewohner Kasans“ auf den Seiten der Zeitung „Kasaner Nachrichten“, seine Uraler Reiseskizzen wie „Reise durch den baschkirischen Ural“, „Über den Uraler Goldsand“, „Uraler Wälder“ in der Zeitschrift „Kasaner Anzeiger“.  1824 veröffentlichte Fuchs das in Latein verfasste Buch „Über Krankheiten der Hüttenarbeiter des Urals“. Veröffentlicht wurden in der Kasaner Presse auch zahlreiche ethnographische Skizzen von Karl Fuchs über die Völkerschaften des Wolga-Gebiets, zum Beispiel die aufschlussreiche, dem Tschuwaschenvolk gewidmete und in Form eines Briefwechsels mit seiner nicht minder wissbegierigen Ehegattin gehaltene Skizze „Reise von Kasan nach Tscheboksary“. Dasselbe publizistische Verfahren wendete er auch in seiner Arbeit „Reise von Kasan ins Gouvernement Nishnij Nowgorod“ an. Ethnographische Skizzen wie „Tatarischer Gästeempfang“, „Kurban“, „Saban“, „Ramasan“, „Tatarisches Dschyn-Fest“ gingen in sein Buch „Die Kasaner Tataren in statistischer und ethnographischer Hinsicht“ ein. Es ist unmöglich, vollständig seine Bücher und seine wissenschaftlichen Beiträge zu verzeichnen. Das sind sowohl die „Kurze Geschichte der Stadt Kasan“, die  unter Benutzung der tatarischen und russischen Chroniken verfasst wurde, als auch eine große Anzahl von anderen Arbeiten. Als 1828 die neue Zeitung „Beilage“ zum „Kasaner Anzeiger“ erscheint, wirkt Karl Fuchs auch an ihrer Herausgabe aktiv mit. 1828-1829 lässt Karl Fuchs in dieser Zeitung seine „Statistische Übersicht über alle im Kasaner Gouvernement befindlichen Werke und Fabriken“ drucken.

Die historischen und ethnographischen Essays Fuchs werden immer wieder neu herausgegeben und auch heutzutage mit großem Interesse gelesen. Wenn auch Fuchs sich weder für einen Schriftsteller noch für einen Journalisten hielt, können wir nach den vergangenen mehr als anderthalb Jahrhunderten seine Arbeiten als einen unvergesslichen und bedeutsamen Beitrag zur wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung Russlands, seiner zweiten Heimat, bewerten.

Durch seine Werke auf seinem Arbeitsfeld und durch „die Taten aus Menschenliebe“ zog Karl Fuchs die wohlwollende Aufmerksamkeit zweier Monarchen Russlands – Alexander des I. Pawlowitsch Romanow und Nikolai des I. Pawlowitsch Romanow – auf sich. 1819 wurde er mit dem Orden des Heiligen Wladimir der I. Klasse, 1829 mit dem Orden der Heiligen Anna der II. Klasse und 1826 mit einem Diamantenschmuck zum letztgenannten Orden ausgezeichnet. 

Bis zu seinem Tode unterbrach Karl Fuchs seine wissenschaftliche Tätigkeit nicht.  Nach seiner Emeritierung widmete er sich mit Leib und Seele ethnographischen und statistischen Untersuchungen der Region. Dieses Werk wurde auch sehr hoch eingeschätzt. Das Innenministerium, zu dem Karl Fuchs abkommandiert worden war, erwirkte für ihn beim Monarchen den Titel eines wirklichen Staatsrats.

Am 3. Juni 1821 heiratete Fuchs Alexandra Andreewna Apechtina, eine Kasaner Adlige und Dichterin. Das Ehepaar machte seinen Wohnsitz zu einer Stätte der Intelligenz und des Humanismus, zu einem Musik- und Dichtersalon. Ihr Haus in der Poperetschnaja-Tichwiner Straße war im Laufe von drei Jahrzehnten ein Zentrum des gesellschaftlich-kulturellen und intellektuellen Lebens in Kasan.  Voll von einmaligen Sammlungen und einer bewundernswerten Bibliothek wurde dieses gastfreundliche Haus zum Anziehungspunkt für Gelehrte und kunstbegeisterte Jugendliche.

Gern empfangen wurden im Fuchs‘ Haus die Vertreter von verschiedenen Ständen und Gesellschaftsrängen wie der  kirgisenkajssatzer (kasachischer) Chan Dschangir und der Verleger M.S. Rybuschkin, der Senator W.J. Sojmonow und der trinksüchtige Dichter G.N. Gorodtschaninow, der Orenburger Gouverneur, der Fürst G.S. Wolkonski und ein ehemals leibeigener Maler L.D. Krjukow, vornehme tatarische Kaufleute, wie auch Kaufleute aus Armenien und Buchara, Nonnen aus altgläubigen  Einsiedeleien, Gymnasiasten… Seine umfangreichen Kenntnisse in vielen Wissensbereichen zogen hervorragende Persönlichkeiten damaliger Zeit an – wie den finnischen Sprachwissenschaftler und Ethnograph Matthias Alexander Karsten, den preußischen hohen Beamten und Wirtschaftswissenschaftler Baron August Hackshausen, den russischen Staatsmann Graf M.M. Speranski, die berühmten russischen Dichter W.A. Schukowski, E.A. Boratynski und A.S. Puschkin, den deutschen Naturforscher, Erkundler und Forschungsreisenden Alexander von Humboldt…

Die letzten 4 Lebensjahre von Karl Fuchs waren für ihn sehr mühselig. 1842 wurden sein Arm und sein Bein gelähmt. Wenn er auch nicht so tatkräftig wie früher sein konnte, war der betagte Doktor oft in der  Sprechstunde im Vorzimmer seines Hauses unter seinen zahlreichen Patienten anzutreffen. Er blieb lebensfroh und nett zu seinen Patienten. Anfang April 1846 litt er an Atemnot und am 24. April um 3 Uhr nachts starb Karl Fuchs.

Am 26. April um 2 Uhr mittags wurde die Leiche des tugendhaften alten Mannes zur Totenmesse in die  lutherische Kirche getragen. Der Gouverneur, die Universitätsleitung sowie Studierende, Kaufleute, Handwerker und viele Tataren begleiteten den Trauerzug. Die Augenzeugen berichteten, es hätte so viele Leute und Kutschen gegeben, dass als sich die Totenbahre der lutherischen Kirche genähert hätte, hätten die Leute am Ende des Trauerzuges die Prolomnaja Straße (heute „Kasaner Arbat“) noch nicht überquert. Nicht nur auf den Straßen, sondern auch aus Fenstern folgten die Menschen der Beerdigung. Besondere Aufmerksamkeit zogen auf sich große Mengen von Tataren, die ohne ihre Mützen gingen.

Die Totenmesse dauerte etwa 2 Stunden. Die lutherische Kirche war zum Bersten voll. Hunderte von Menschen warteten außerhalb der Kirche, um die Leiche des berühmten Menschen bis ans Grab zu geleiten. Danach begab sich der Trauerzug auf den Weg zum Arsker Feld. Es gab kein einziges Haus in Kasan, in dem man nicht wusste, wer begraben wurde. Die einen liefen entgegen, die anderen schlossen sich dem Trauerzug an, die dritten beteten.  Der von den Kasanern liebgewonnene und ins Herz geschlossene Sohn des fernen Herborns wurde auf dem lutherischen Friedhof am Arsker Feld (russisch: Arskoe Pole) bestattet.

Ob Karl Fuchs Erben hatte? Leider starben dem Ehepaar Fuchs 4 Kinder. Sie hatten nur eine Tochter – die sehr kränkliche  Sofia. Nach dem Tode ihres Mannes Karl Fjodorowitsch versuchte Alexandra Andreewna einige Zeit lang den von Karl Fuchs geformten Lebensstil beizubehalten, indem sie Abendveranstaltungen und Literaturversammlungen organisierte. Aber nach der Heirat ihrer Tochter Sofia Karlowna war sie gezwungen, ihr berühmtes Haus zu verkaufen. Sofias Mann, der Fähnrich N.A. Brylkyn (später diente er in einer Schiffsgesellschaft) erwies sich als  ein Lebemann. Die Frau und die Tochter von Karl Fjodorowitsch wurden auch auf dem Arsker Friedhof in Kasan neben N.I. Lobatschewski, dem Nachfolger von Karl Fuchs, dem Rektor der Kasaner Universität, dem Gründer der nicht euklyder Geometrie begraben.  Nach dem Tode von Alexandra Andreewna  wurden Karl Fuchs’ Sammlungen und die Bibliothek von seinem Schwiegersohn Brylkin verkauft. Es gingen viele Handschriften und das Archiv von Karl Fuchs verloren – die Zeit und Umstände ließen die Gestalt der hervorragenden Persönlichkeit aus dem Volksgedächtnis allmählich schwinden. Aber die dankbaren Kasaner ließen Karl Fuchs nicht in Vergessenheit geraten,  sogar viele Jahre später.


1896 fasst die Kasaner siebenstimmige Stadtduma zum 50. Todestag von Karl Fuchs den historischen Entschluss über die Verewigung des Andenkens an ihn. Hier ist ein Auszug aus dem Protokoll Nr. 6 der Sitzung der Kasaner Stadtduma vom 24. April 1896:

II. Das Stadtoberhaupt hat die Wissenschafts-, die Gesellschafts- und die Lehrtätigkeit des vor rund 50 Jahren verstorbenen Professors Karl Fuchs als wichtig und bedeutsam für die Entwicklung der Stadt Kasan charakterisiert und vorgeschlagen, ihn zu gedenken. Man erhob sich zu einer Gedenkminute von den Plätzen. Danach hat die Duma auf Vorschlag des Stadtoberhauptes den folgenden Entschluss gefasst:

a.) zum Gedenken an den verstorbenen Prof. Karl Fuchs die Poperetschno-Tichwinstraße laut dem einzureichenden Gesuch in die Fuchsstraße umzubenennen;

b.) die Stadtverwaltung mit der Restaurierung des im baufälligen Zustand befindlichen Denkmals am Grabe von K.F. Fuchs, mit seiner Vergitterung und mit der Pflege dieses Denkmals aufs städtische Konto zu beauftragen;

c.) die Stadtverwaltung mit der Anlegung eines Gartens in der Nähe von der Poperetschno-Krassnaja-Straße am hohen Kasanka-Ufer und mit der Einreichung eines Gesuchs um seine Benennung „der Fuchsgarten“ zu beauftragen. Zur Restaurierung des Denkmals und zur Gartenanlegung sind 600 Rubel auszugeben. Dieser Geldbetrag ist von der Verwaltung in den zusätzlichen Kostenanschlag für das Jahr 1896 einzuschließen.

Aus: Nationalarchiv der Republik Tatarstan, Band 98, Verzeichnis 3, Bewahrungseinheit 2179

Hier ist auch der Brieftext des Kasaner Gouverneurs ans Stadtoberhaupt vom 18. Dezember 1896:

Seine Majestät der Imperator hat am 23. November dieses Jahres aufgrund eines untertänigsten Berichts des Innenministeriums durch Seine Hoheit geruht, laut dem Gesuch der Kasaner Stadtduma der Poperetschno-Tichwiner Straße und dem anzulegenden Garten zur Verewigung des Namens des verstorbenen Professors der Kasaner Universität als Anerkennung seiner Wissenschafts-, Lehr- und Gesellschaftstätigkeit die Benennungen „die Fuchsstraße“ und „der Fuchsgarten“ zu verleihen.

Ich habe die Ehre, über den vom Innenministerium mitgeteilten Hoheitsbefehl vom 10. Dezember unter Nummer 1552 als Antwort auf das Gesuch Nr. 5505 für weitere Verordnungen Eure Exzellenz in Kenntnis zu setzen.

Aus: Nationalarchiv, Band 98, Verzeichnis 3, die Aktenschrift N 2213

Alle Entschlüsse der Kasaner Satdtduma wurden Wirklichkeit. Am Grabe von Karl Fuchs errichtete man ein Denkmal in Form einer viereckigen Grabtafel, auf der sich eine zylinderartige, einen abgehauten Baum symbolisierende steinerne Säule erhöhte. Die Grabinschrift lautete: „Hier wurde der am 24. April 1846 verstorbene Karl Fuchs begraben“. Am 11. Mai 1896 wurde in der Nähe vom historischen Zentrum Kasans am hohen Kasanka-Ufer (am Fjodorowskij, oder Kosij, Hügel) der „Fuchsgarten“ angelegt.

50 Jahre nach dem Tode von Karl Fuchs nahmen die Stadtbehörden zur Verewigung des Andenkens an ihn den Kontakt mit seinen Nachkommen auf. In Archiven dieser Zeit wurden einzelne Auskünfte über die Enkelkinder von Karl Fuchs, J.D. Koschljakowa und A.D. und S.D. Brylkin ausfindig gemacht. Erhalten geblieben ist auch der Briefwechsel des Kasaner Stadtoberhauptes S.W. Djatschenko mit den Enkeln von Fuchs anlässlich der Jubiläumsfeier des Gelehrten und betreffs der Enkelin Sinaida Brylkina zugewiesenen Geldbeihilfe.

1896 ist auch durch noch ein interessantes Ereignis denkwürdig. In diesem Jahr wurde das Buch „Kurze Geschichte Kasans“ von Karl Fuchs in der Allrussischen Ausstellung für Industrie und Wissenschaft in Nishnij Nowgorod ausgestellt. Als ein wertvolles Andenken bewahrte man es in einem verschlossenen Futteral.


Es vergingen noch hundert Jahre stürmischen Lebens der  neuesten Geschichte. Das Grab von Karl Fuchs auf dem lutherischen Friedhof war verloren gegangen. Die Fuchsstraße wurde wieder umbenannt. Und der Fuchsgarten hätte  unter jenen Umständen auch umbenannt werden können. Doch diesem deutlich gewordenen Trend zum Vergessen des Andenkens an diese großartige Persönlichkeit sollte ein Ende gesetzt werden.

Dank der Perestroika in der UdSSR wurde am 5. März 1991 der erste nationale Verein der Kasaner Deutschen, die Kasaner Gemeinschaft für deutsche Kultur  im Rahmen der Gemeinde der Russlanddeutschen Kasans auf ihrer Stiftungsversammlung gegründet. Zugleich wurde auch die Organisationsstruktur der lutherischen Deutschen Kasans wiederhergestellt. Am 4. Juni 1993 wurde die Kasaner Gemeinschaft für deutsche Kultur in die Deutsche Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan umgebildet und am 1. Juni 1993 offiziell von den Behörden Kasans registriert.

Mit vereinten Kräften der Gemeinde der Russlanddeutschen Kasans (der Deutschen Karl-Fuchs-Gemeinschaft) wurde wieder die öffentliche Aufmerksamkeit auf den größten Bürger Kasans, Karl Fuchs gerichtet. Nach unseren zweijährigen und hartnäckigen Appellen an die Stadt- und Republikleitung wurde das Andenken an Karl Fuchs 100 Jahre später zum zweiten Mal verewigt.

Hier ein Auszug aus der Verordnung des Kasaner Stadtoberhauptes K. Iskhakow vom 17. Juni 1996 über die Verewigung des Andenkens an Karl Fuchs:

1806-1846 lebte und wirkte der durch seine Werke über die Geschichte und das Leben der Tataren weit bekannte Gelehrte, Naturforscher, Arzt und Ethnograph in Kasan.

Um den großen Beitrag von Karl Fuchs zur Entwicklung der Wissenschaft anlässlich seines  220. Geburtstages (18.09.1776) und seines 150. Todestages (24.04.1846) zu verzeichnen, mit Rücksicht auf Vorschläge der Kulturverwaltung des Stadtverwaltung Kasans, der Deutschen Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan und der Kasaner Staatlichen Universität, das Andenken an Karl Fuchs zu verewigen, wird verordnet:

  1. der Kommission für Namenskunde an der Stadtverwaltung Kasans (N.K. Hussnutdinow) alle Fragen in Betracht zu ziehen und die nötigen Dokumente fertig zu stellen:
    1. über die offizielle Benennung des Gartens zwischen der Shukowski-Straße und der Malaja-Krasnaja-Straße als Fuchs-Garten, über die Errichtung des Karl-Fuchs-Denkmals in diesem Garten;
    1. über die Umbenennung einer Straße Kasans in die Karl-Fuchs-Straße
  2. der Kulturverwaltung an der Stadtverwaltung Kasans (R.G. Tuchwatullin):
    1. die Funktion eines Auftraggebers bei der Errichtung des Karl-Fuchs-Denkmals zu übernehmen;
    1. bis zum 01.09.97 eine Gedenktafel herzustellen und ans Haus Nr. 5/58 in der Galiaskar-Kamal-Straße mit dem folgenden Text auf Tatarisch, Russisch und Deutsch anzubringen:

  «Бу йортта 1831-1846 елларда Казаннын хормэтле гражданы, галим, табиб hэм этнограф Карл Фукс яшэде hэм ижат итте»

«В этом доме жил и творил в 1831-1846 гг. почётный гражданин Казани, ученый, врач и этнограф Карл Фукс»

«Hier lebte und wirkte in den Jahren 1831-1846 Karl Fuchs – Ehrenbürger der Stadt Kasan, Gelehrter, Arzt und Ethnograph»

К. Iskhakow


Die Verordnung des Stadtoberhauptes Kasans ist in die Tat umgesetzt worden. Der Fuchs-Garten erhielt eine Bestätigung seiner offiziellen Benennung, er wurde erweitert und verschönt. Und am 11. Dezember 1996 – am Tage der Unterzeichnung des Zarenerlasses über die Verewigung des Andenkens an Karl Fuchs in den Benennungen eines Gartens und einer Straße Kasans im Jahre 1896 – wurde das großartige bronzene Karl-Fuchs-Denkmal von den Moskauer Bildhauern A. Balaschow und I. Koslow errichtet. Zum Gedenktag errichtete man auch eine Stele mit einem bronzenen  Medaillon und der Überschrift „KARL FUCHS 1776-1846“ unweit seines Grabes auf dem lutherischen Friedhof am Arskij Feld (russisch: Arskoje Pole) und eine zentral gelegene Straße, und zwar die Gorodezki-Straße, wurde in die Fuchsstraße umbenannt.

Am 15.-16. Oktober 1996, am Vorabend dieser denkwürdigen Ereignisse fanden die feierlichen „Fuchs-Lesungen“ anlässlich des 220. Geburtstages und des 150. Todestages von Karl Fuchs in der Aula der Kasaner Universität statt. Neben Kasaner Wissenschaftlern hielt auch Prof. Dr. Armin Geuß, Professor für Medizingeschichte an der Marburger Universität, einen sehr inhaltsreichen Vortrag. Im Museum für Geschichte der Kasaner Universität fand eine Ausstellung der Archiv- und Museumsexponate statt, die dem Leben von Karl Fuchs gewidmet war. Am selben Tag – am 15. Oktober 1996 – wurde die von dem Kasaner  Bildhauer Kisslow nach Entwurf der Deutschen Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan und dank deren Finanzierung hergestellte Gedenktafel mit einer dreisprachigen Inschrift auf Deutsch, Russisch und Tatarisch (zum ersten Mal in der Geschichte) am Hause Nr. 5/58 in der Galiaskar-Kamal-Straße angebracht.

Zum 11. Dezember 1996 wurde das Sonderheft „Andenken an Prof. Karl Fuchs“, das die Beiträge der obenerwähnten Konferenz („Fuchs-Lesungen“) erfasst (Verfasserin und Redakteurin A.W. Garsawina), herausgegeben. Dieses Heft ist das erste aus der Bücherreihe „Deutsche und  Kasan“. In der Folge wurde das zweite Buch „Deutsche Gelehrte – Professoren der Kasaner Universität“ von der Deutschen Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan in Zusammenarbeit mit der Heimatforscherin A.W. Garsawina zum Druck vorbereitet. Heutzutage werden in der Autonomen gemeinnützigen Organisation „Deutsches Haus der Republik Tatarstan“ neue Bücher verfasst und herausgegeben.

Ernst-Jörg von Studnitz, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Russland und Wassilij Lichatschow, der ehemalige Vize-Speaker des Oberhauses des russischen Parlaments waren am 11. Dezember 1996 Ehrengäste und Teilnehmer der Jubiläumsfeierlichkeiten. Diese Ehrengäste und M. Schajmijew, der Präsident der Republik Tatarstan, K. Iskhakow, das Stadtverwaltungsoberhaupt  Kasans, Siegfried Springer, der Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche im europäischen Teil Russlands(†16.02.2019), die Vertreter der niedersächsischen Partnerstadt Braunschweig und andere angesehene Bewohner Kasans enthüllten ein Denkmal zum Andenken an den hervorragenden Kulturträger Karl Fuchs. Dieses denkwürdige Ereignis wurde von einem bizarren Feuerwerk begleitet. Jener ereignisreiche Tag wird im Gedächtnis nicht nur der Deutschen Kasans, sondern auch aller anderen Stadtbewohner bleiben.

 An diesem Tage – in einem engen Zusammenhang mit den oben beschriebenen Festlichkeiten zu Ehren Fuchs’ und seinem Namen selbst – wurde das Gebäude der alten lutherischen Heiligen-Katharina-Kirche offiziell in den fristlosen Besitz der Deutschen-Lutheraner Kasans – der evangelisch-lutherischen Gemeinde der deutschen Tradition dieser Stadt – übergeben. 

Die gemeinnützige deutsche Karl-Fuchs-Gemeinschaft zu Kasan hat in den darauf folgenden Jahren viel Gutes zur vollwertigen Wiedergeburt des nationalkulturellen Lebens der deutschen Gemeinde der Stadt, der Republik und des Landes getan. All das wurde im Namen des denkwürdigen Karl Fuchs gemacht.


Der berühmte deutsche Naturforscher, Erdkundler und Forschungsreisender Baron Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt (geb. 14.09.1769, Berlin – gest. am 6. Mai 1859, Berlin), der sich, wie viele deutsche Wissenschaftler, für Russland, seine Geschichte, Natur und Leute interessierte, war auf seiner  Reise zum Ural-Gebirge und nach Sibirien, die er auf  Einladung des Zaren Nikolai des I. angetreten hatte, auch in Kasan unterwegs, wo er sich mit besonderen Menschen traf.

Zu dieser „russischen“ Expedition gehörten neben ihm auch: der Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg  (1795–1876), der Mineraloge Gustav Rose (1798–1873),  Karl Seifert, der Kammerdiener von Humboldt und russischer Bergbaubeamte Dmitrij Stepanowitsch Menschenin (1791 – nicht früher als um 1860).

Diese Forschungsreise haben die Deutschen am 1. April 1829 in Berlin angetreten, Menschenin war noch nicht dabei. Zwei Kutschen zogen am östlichen Tor Berlins vorbei und begaben sich auf den Weg zur russischen Grenze; in der ersten Kutsche saßen A. von Humboldt,  Mineraloge G. Rose und Naturforscher Ch. G. Ehrenberg, in der zweiten – Kammerdiener Karl Seifert mit dem ganzen Reisegepäck. Zu Ende war diese Reise erst am 28. Dezember 1829, als die Reisenden wieder in Berlin ankamen.

Also, am 19. April 1829, erst am 19. Tag nach der Abreise aus Berlin – Ankunft in Sankt-Petersburg; die Route bis zur russischen Hauptstadt verlief über Königsberg, Kurische Nehrung und Dörpt (Dorpat, heute Tartu), mit einem kurzfristigen Besuch der Universität Dörpt. In Sankt-Peterburg haben die Reisenden insgesamt 19 Tage verbracht.

29. April 1829 – Humboldt, Ehrenberg und Rose sind bei der Sitzung der Petersburger Akademie der Wissenschaften dabei.

8. Mai 1829, am frühen Morgen – Abreise der Expedition nach Moskau (über Nowgorod, Waldai, Twer).

12.-16. Mai 1829 – Aufenthalt in Moskau.

16. Mai 1829 – Abreise aus Moskau nach Kasan (über Bogorodsk, Kowrow, Wladimir, Murom, Nishnij Nowgorod).

23. Mai 1829 – Ankunft mit einer Barge (63-stündige Schiffsreise wolgaabwärts) aus Nishnij Nowgorod nach Kasan.

23.-29. Mai 1829 – Ankunft in Kasan, Treffen mit Kasaner Wissenschaftlern: Nikolai Iwanowitsch Lobatschewski (1792-1856), Rektor der Kasaner Kaiserlichen Universität (1827-1846), Gründer der nicht euklyden Geometrie; Iwan Michailowitsch Simonow (1794-1855) – russischer Astronom, einer der ersten Pioniere der Antarktis, der Nachfolger N.I. Lobatschewskis im Amt des Rektors der Kasaner Kaiserlichen Universität (1846-1854);  Simonow hatte Humboldt früher in Paris getroffen, nach seiner Weltreise zusammen mit F.F. Bellingshausen und M.P.  Lasarew 1819-1821; Karl Fjodorowitsch Fuchs (1776-1846), berühmter Kulturträger, Vorgänger N.I. Lobatschewskis im Amt des Rektors der Kasaner Kaiserlichen Universität (1823-1827); mit Fuchs hatten Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt an der Universität Göttingen studiert…

29. Mai 1829 – Abreise nach Perm; am 1. Juni an der  Bisertskaja Siedlung war das Uralgebirge zu sehen. Zwei Tage später siegen die Reisenden aus den Kutschen in Jekaterinburg aus.

Ab dem 3. Juni 1829 befindet sich die Gruppe Humboldts in Jekaterinburg. Besichtigung der Fabriken in der Nähe von der Stadt, der Polewskoj und Gumeschewskij Bergwerke, der Goldgruben. Fabriken der Familie Demidow in Nishnij Tagil, wo sich Humboldt angeblich mit Tscherepanow getroffen hat. Berg Blagodat’. Ewiger Frostboden in Bogoslowsk (heute, seit 1941, Karpinsk).

Am 1. November 1829, schon auf dem Rückweg, traf die Expedition in der Hauptstadt des Russischen Reiches an. Nach Berechnungen des Oberverwalters Menschenin hatten „die Reisenden in 23 Wochen 14 500 Wersten [etwa 15 470 km] bereist, darunter 690 Wersten auf dem Wasserweg, und außerdem etwa 100 Wersten im Kaspischen Meer; sie hatten auf 658 Poststationen 12 244 Pferde in Gang gesetzt; sie hatten 53 Mal verschiedene Flüsse überfahren, darunter 10mal Wolga, 2mal Kama, 8mal Irtysch und 2mal Ob’“.

Diesmal blieb Humboldt für mehr als einen Monat in Sankt-Petersburg – vom 1. November bis zum 3. Dezember (nach dem alten Kalender).

Am 3. Dezember verließ Humboldt Sankt-Petersburg, am 28. Dezember kam er wieder in Berlin an. Er hatte Wolga-Gebiete, Uralgebirge, den Süden Westsibiriens bereist, am Kaspischen Meer war er auch gewesen. In Russland hatte der Gelehrte 8 Monate verbracht und 18 000 Wersten zurückgelegt. Später veröffentlichte er 2 Bücher, in denen er ausführlich seine Reise beschrieb.


Die Beschreibung der Russischen Reise von Humboldt, Ehrenberg und Rose wurde veröffentlicht und auch in Kasan bekannt. Später, 1837, wurde die Übersetzung ins Russische herausgegeben. In diesem Jahr veröffentlichte Gustav Rose in Berlin ein Buch mit Reiseberichten, die der Reise in Russland gewidmet waren. Das Buch wurde zu einem bedeutenden Ereignis in der Forschungsliteratur damaliger Zeit. Ein großer Verdienst des Autors besteht darin, dass er, neben den Reisenotizen auch eine volle Übersicht der Mineralien Russlands verfasst hatte, die die Beschreibungen reicher Sammlungen von Gesteinen und Mineralien, die während der Reise gefunden wurden, sowie die Beschreibungen der Exponate aus den Museen von Dörpt, Sankt-Petersburg, Kasan, Jekaterinburg, Barnaul und anderen Städten beinhaltete. Beschrieben hatte Rose auch private Sammlungen.

Die aus Nishnij Nowgorod in Kasan angekommenen Gäste wurden am 23. Mai 1829  im Gasthaus der Adeligen Versammlung untergebracht. Die angekommen Deutschen wurden vom Hausverwalter der Adeligen Versammlung  des Kasaner Gouvernements, dem Deutschen Herbert empfangen und untergebracht. Die Kasaner Wissenschaftler (Lobatschewski, Simonow, Fuchs), die die Gäste empfangen hatten, führten zusammen mit Humboldt Messungen der Beugung der Magnetnadel und magnetischer Intensität in der Umgebung von Kasan und in seinem historischen Zentrum auf dem Arsker Feld durch (dort gibt es heute noch den alten deutschen lutherischen Friedhof, den mehr als 30 Jahre lang die Russlanddeutsche der Stadt pflegen). Die Gäste wurden zu einer Führung durch die Stadt eingeladen.

„Die Stadt Kasan selbst sowie Siedlungen haben gerade, breite Straßen, die meisten von ihnen kreuzen sich und bestehen aus Holzhäusern, die selten mehr als eine Etage haben und oft vom Garten umgegeben sind,“ —  so beschrieb Gustav Rose seine Eindrücke. Hier gibt es viele Kirchen und Kloster mit Glockentürmen oft bewundernswerter Architektur, wie zum Beispiel Peter-Paul-Kirche, die eine japanische Form aufweist und außen mit zahlreichen Figuren in bunten Farben bemalt ist…

Die Stadt ist hauptsächlich von Russen bewohnt, aber die Siedlungen, die von der Stadt nicht weit entfernt sind und sich von der nicht unterscheiden, sind von Tataren bewohnt. Sie stellen ein Drittel der Gesamtbevölkerung Kasans dar – in der Stadt leben etwa 50 Tausend Menschen. Sie leben vom Handel, besitzen viele Sattlereien und Seifenfabriken, deren Produktion sehr hoch geschätzt wird und in andere Gebiete geliefert wird.

Wir haben auch diese Siedlungen bereist und Tataren haben uns in einen ihrer Gebetsräume geführt, das wurde mit Bereitwilligkeit gemacht. Der Gebetsraum war aus Holz und bestand aus einem Flur und einem quadratischen Saal, der sauber und schlicht war, — das sind Eigenschaften, die alle tatarischen Wohnstätten charakterisieren.

Dick bestaubt kehrten wir zurück; die Straßen Kasans sind nicht ausgepflastert, früher waren sie, wie es auch in anderen russischen Städten der Fall war, mit Halbholzbalken  ausgepflastert; als die Stadt 1774 während des Aufstandes unter Emelian Pugatschew verbrannt wurde, verbrannten nicht nur Häuser, sondern auch das Straßenpflaster, sodass der Brand noch stärker wurde und seine Bekämpfung erschwert wurde“.

Die Gäste wurden im Hause vom Professor Fuchs empfangen. Der Hausbesitzer machte sie mit der Geschichte der Region vertraut, zeigte seine heimatkundliche Sammlung, Mineralien- und Münzensammlungen; Humboldt wurden einige Mineralien geschenkt. Der deutsche Wissenschaftler hatte Interesse an großen Pflanzen-, Insekten, Vögelsammlungen, die vom Kasaner Professor zusammengestellt wurden. G. Rose konnte seinen Blick von wertvollen Edelmineralien nicht abwenden. Hier gab es Topase, Smaragde, Amethysten aus einem reichen Vorkommen in Mursicha. Solche Mineralien gab es sogar an der Universität nicht, da die Geldmittel zur Erweiterung des mineralogischen Lehrkabinetts fehlten. Kasaner Wissenschaftler standen noch mehrere Jahre mit Humboldt im Briefwechsel, und der letzte bat immer in seinen Antwortschreiben darum, Karl Fjodorowitsch Fuchs seine Achtung zu beweisen.

Professor Fuchs machte die Gäste auf eine seltene Sammlung der orientalischen Handschriften und Münzen aufmerksam. Alle waren so interessiert, dass es beschlossen wurde, am nächsten Tag so früh wie möglich nach Bulgary zu fahren (eine der Hauptstädte des Staates der Wolga-Kama-Bulgaren; moderne richtige Benennung des Städtchens – Bоlgar). In Bulgary besichtigten sie Denkwürdigkeiten, machten sich mit der Geschichte dieser Orte vertraut. Einige Reliquien der alten Geschichte des Bulgarischen Staates nahmen die Gäste mit: „Eine schöne und umfangreiche Sammlung der Münzen, die in Bulgary gefunden worden waren (Herr Humboldt hat es entgegenkommender Gutartigkeit von Professor Fuchs zu verdanken), wurde dem Königsmuseum in Berlin übergeben“.

Zu den Ruinen der im XV. Jahrhundert zerstörten Wolga-Bulgarien wurden die Expeditionsteilnehmer mit einem Militärboot gebracht. Nicht weit von der Kama-Mündung in die Wolga wurde eine breite Stätte mit gehauten Steinen überhäuft. Hier und dort konnte man vage Straßenlinien erkennen, es standen noch einzelne Gebäude, eine dunkle niedrige Moschee, Grabmäler, „Weißer“ und „Roter“ Höfe…

Gustav Rose beschrieb die Führung in Bulgary auf folgende Art und Weise:

„Viele Bauten sind mit Sand und Erde aufgeschüttet… Es wäre ein großer Verlust, wenn diese alten Denkmäler für ewig verschwinden. Schon Erdmann [Fjodor Christoforowitsch Erdmann, dt. Johann Friedrich Erdmann (1778-1846)] sah nicht Vieles davon, was Pallas [Pjotr Simon Pallas, dt. Peter Simon Pallas (1741-1811)] und Lepjochin [Iwan Iwanowitsch Lepjochin (1740-1802)] 48 Jahre vor ihm beschrieben hatten, andere Reisenden werden später noch weniger finden können, wenn russische Regierung nichts tut, um die weitere Zerstörung dieser Ruinen zu verhindern. Die Versuchung für die Bewohner ist  groß – das brauchbare Baumaterial (Stein) ist leicht aus diesen Ruinen abzubauen. In den Ruinen der alten Bauten werden oft Silber- und Kupfermünzen gefunden, Kupferohrringe, Ringe und andere Dinge, die uns Bauerkinder zum Kauf anboten…“

Aus Kasan begab sich die Expedition zum Ural, nach Sibirien und Altai, besuchte dort Orte, wo Eisen- und Kupfererz, verschiedene Nichteisen- und Edelmetalle sowie Malachit gewonnen werden. Unter Teilnahme der deutschen Wissenschaftler wurde am 5. Juli 1829 der erste Ural-Diamant gefunden. Die Expedition gab wertvolle Empfehlungen zur weiteren Entwicklung des Bergbaus und der Industrie in Russland, sie war vor großem praktischem Vorteil für russische Wissenschaft.


Kasan hat die Namen von Karl Fuchs und Alexander von Humboldt  verbunden, obwohl der erste 40 Jahre lang in unserer Stadt wohnte und ihr und ihren Bewohnern vieles oder sogar alles, was er nur konnte, gegeben hatte. Humboldt war nur 6 Tage in unserer Stadt. Aber die positive Geschichte unserer Stadt hat das Andenken an diese Persönlichkeiten verbunden. Fuchs hat Humboldt geholfen sich sofort sowohl in den ethnohistorischen Schicksalen der Region, als auch in ihrer Natur zurechtzufinden. Zwei Gelehrte – der Deutsche aus Deutschland Alexander von Humboldt und der von uns als Russlanddeutscher wahrgenommene Karl Fuchs (der Deutsche, der in Russland Fuß gefasst und Russland als seine zweite Heimat empfunden hatte) – haben sich als Gleichgesinnte und Freunde gesehen.

Viktor Dietz, Ekaterina Alekseeva,
Kasan