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Luther, Reformation und die deutsche Sprache

Luther, Reformation und die deutsche Sprache

Um ernst von der deutschen Sprache zu sprechen, ist es notwendig, ihre Lage in Raum und Zeit sowie ihre Rolle in der modernen Gesellschaft zu bestimmen. Und vor allem sollte man sich bei der Analyse des sprachlichen Weltbildes an die führenden modernen Forschungen der vergleichenden Sprachwissenschaftler und Linguisten wenden. Den unten angeführten Artikel betrachte ich als Annotation zu einem Lehrmittel für die Leute, die in Russland und in den benachbarten Gebieten des postsowjetischen Raumes leben und die Geschichte der deutschen Sprache zu studieren beginnen.

Standpunkt der deutschen Sprache in Raum und Zeit

(weltweit, in Europa, Russland und Tatarstan)

Fast allgemein gängig ist die Meinung, dass sich das Kommunikationssystem der Australopitheken nicht prinzipiell von demjenigen unterschied, das die modernen Menschenaffen (eigentliche Gibbons, Hulocks,  Nomaskus, Symphalangus syndactylus, Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen) beherrschen. Unterschiedliche Meinungen gibt es bezüglich der weiteren Entwicklung dieses Kommunikationssystems, wenn vor 2,7 Mio. Jahren im Rahmen der Oldowan-Kultur das Geschlecht Homo erschienen ist. Einige Forscher glauben an die Entstehung einer primitiver Proto-Sprache schon bei dem Homo habilis vor 2,3 Mio. Jahren, andere vertreten aber die Meinung, dass diese Wende erst Homo erectus vor 1,8 Mio. Jahren überwunden hat (vor 1,5 Mio. hat man schon Feuer benutzt) oder sogar Homo heidelbergensis, vor nur 600 Tausend Jahren. Die Sprache in ihrer modernen Form hat sich in der Epoche des Jungpaläolithikums herausgebildet, weniger als vor 100 Tausend Jahren.

Die Leute haben sich schon früh für die Frage interessiert, wie so eine große Menge Sprachen auf der Erde erschienen ist. Einige Forscher glauben, dass sie alle allgemeine Wurzeln haben und als Resultat einer Divergenzkette der  Proto-Welt-Sprache erschienen sind (Monogenese-Konzept). Andere sind der Meinung, dass es ursprünglich mehrere, voneinander unabhängige Herde der Spracherstehung gab (Polygenese-Konzept).

Die Linguisten haben die Verwandtschaft der Sprachen in den Fällen festgestellt, wenn die sprachliche Einheit vor nicht mehr als 5-10 Tausend Jahren zerfiel, und haben die Sprachen in die Sprachfamilien eingeteilt. Einige Forscher haben versucht, die genetische Verwandtschaft der Sprachen festzustellen. Diese Versuche sind in den nächsten Teilen dieses Artikels dargestellt, mit Angabe der angeblichen Fristen der Teilung der Menschheitssprache in 2 Megafamilien sowie der späteren Teilung einer dieser Megafamilien – afroeurasischen – in Superfamilien, Hyperfamilien, Makrofamilien, Oberfamilien, Sprachfamilien, Sprachzweige, Sprachgruppen, Untergruppen, Sprachen, Dialekte und Lokalsprachen.

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Die deutsche Sprache ist:

– eine der Sprachen der hochdeutschen Untergruppe (die hochdeutsche Gruppe umfasst 2 Sprachen – Deutsch und Jiddisch);

– eine der Sprachen der westgermanischen Gruppe (die westgermanische Gruppe besteht aus 3 Untergruppen – der angelfriesischen,  der niederdeutschen und der hochdeutschen – und umfasst 16 Sprachen, darunter 8 lebende, mit 530 Mio. Muttersprachlern);

– eine der Sprachen des germanischen Zweiges (der germanische Sprachzweig besteht aus 3 Gruppen – der nordgermanischen (skandinavischen), der ostgermanischen (heute ausgestorbenen) und der westgermanischen – und umfasst 17 lebende Sprachen, mit 550 Mio. Muttersprachlern);

– eine der Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie (die indoeuropäische Sprachfamilie besteht aus 10 Sprachzweigen – dem germanischen, dem arischen, dem griechisch-phrygisch-armenischen, dem paleobalkanischen, dem baltisch-slawischen, dem venetischen, dem italischen, dem keltischen, dem tocharischen und dem anatolischen (dem hethitischen) – und umfasst 449 Sprachen mit 2,7 Milliarden Sprechenden; der Zeitpunkt des Zerfalls der indoeuropäischen Sprachfamilie ist das 5.-4. Jahrtausend v. u. Z);

– eine der Sprache der nostratischen Sprachmakrogruppe (die nostratische Sprachmakrogruppe besteht aus 8 Sprachfamilien – der indoeuropäischen, der altaischen, der ural-ukagirischen (Sprachoberfamilie), der  kartwelischen, der dravidisch-elamischen (Sprachoberfamilie), der eskimo-aleutischen,  der tschuktscho-kamtschadalischen, der Penuti-Sprachfamilie (Sprachoberfamilie) – und umfasst mehr als 660 Sprachen; der bekannte russische Linguist Sergey Anatoliewitsch Starostin (24.03.1953-30.09.2005) hat den Zeitpunkt des Zerfalls der protonostratischen Sprache für das 10.-12. Jahrtausend v. u. Z. festgelegt; zuerst haben sich die dravidisch-elamischen Sprachen abgesondert);

– eine der Sprachen der eurasischen Sprachhyperfamilie (die eurasische Sprachhyperfamilie besteht aus 3 Sprachmakrofamilien – der nostratischen, der afroasiatischen und der dene-kaukasischen; der Zerfall der sprachlichen Einheit der eurasischen Sprachhyperfamilie begann vor 18-20 Tausend Jahren);

– eine der Sprachen der boreischen Sprachsuperfamilie (die boreische Sprachsuperfamilie besteht aus 3 Sprachhyperfamilien – der eurasischen, der austrischen und der amerindischen; der Zerfall der sprachlichen Einheit der boreischen Sprachhyperfamilie begann vor 25-30 Tausend Jahren);

– eine der Sprachen der afroeurasischen Sprachmegafamilie (die afroeurasische Sprachmegafamilie (der „ausatmenden“) Sprachen besteht aus 3 Sprachsuperfamilien – der boreischen, der nilosaharanischen und der indipazifischen – und etwa 100 nicht klassifizierten Sprachen-Isolaten; der Zerfall der sprachlichen Einheit der afroeurasischen Sprachmegafamilie begann vor mehr als 40 Tausend Jahren im Laufe der Umsiedlung der Muttersprachler aus der afrikanischen Urheimat in die Weiten Eurasiens);

– eine der 7 413 Sprachen der Menschheit (laut der 17. Ausgabe des internationalen Katalogs der bekannten lebenden Sprachen „Ethnoloque”, der eine alphabetische Liste aller 41 186 festgelegten primären und alternativen Bezeichnungen der Sprachen und Dialekte umfasst), die in die 2 Sprachmegafamilien zusammengeschlossen sind – afroeurasische Sprachen und Khoisansprachen). Die erste Zersplitterung der menschlichen Ursprache war ihre Einteilung in ausatmende und einatmende Sprachen. Es passierte in Zentralafrika, wo offenbar vor 50 Tausend Jahren die Ursprache der Menschheit (Turit) entstand, danach erfolgt ihre erste Einteilung; später verbreitet sich der ausatmende Zweig weltweit. Unsere Vorfahren der Art Homo heidelbergensis beherrschten keine ganzheitliche menschliche Rede, aber ihre Nachfahren der Arten Homo neanderthalensis und Homo altajensis (Neandertaler und Denisova-Menschen sind unsere Vetter und Kusinen) und der Art Homo sapiens beherrschten schon verschiedene Sprachen, deren Spuren wahrscheinlich in den heute funktionierenden Sprachen und Dialekten „eingesprengt“ sind. Die Forscher vermuten in der letzten Zeit immer sicherer, dass die Papuasprachen Spuren der Sprache von Denisova-Menschen (Homo altajensis) beinhalten können.

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7 294 154 164 Menschen, die Mitte 2016 auf dem Planet leben, sind heute auf 300 Territorien mit einem verschiedenen Stand wohnhaft und sprechen laut Ethnologue-20 7 099 Sprachen (eine davon ist Deutsch; 360 Sprachen sind vor kurzem ausgestorben). Diese Zahl der Menschen macht 6,7% der jemals auf der Erde gelebten Vertreter der Art Homo sapiens sapiens aus. Die oben genannten 300 Territorien sind 195 souveräne Staaten und 56 nicht anerkannte oder teilweise anerkannte Staaten und abhängige Territorien; noch 49 Länder und Territorien haben einen anderen Stand und sind in dieser Zahl nicht enthalten. All diese Leute (heute fast 7,5 Milliarden) bekennen, laut Angaben der Religionswissenschaftler, mehr als 10 Tausend verschiedene Religionen, inklusive zahlreiche gentile Kulte und neue Religionsbewegungen. Eine dieser Religionen ist Christentum, das 2 442 Mio. Anhänger hat, darunter 1 214 Mio. Katholiken, 800 Mio. Protestanten (einschließlich mehr als 85 Mio. Lutheraner), 244 Mio. Orthodoxen, 70 Mio. Monophysiten (und Miaphysiten), 0,555 Mio. Nestorianer und 113,445 Mio. marginale Christen.

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Die Zahl der Leute, die in der letzten 162 Tausend Jahren auf der Erde lebten, beträgt 108 Milliarden Vertreter der Art Homo sapiens sapiens. In den vorangehenden Perioden besiedelten die früheren und benachbarten Arten von Hominina Hominini des Geschlechts Homo unser Planet.

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Also, die Deutschen sind, wie die Mehrheit der Bevölkerung Russlands auch, Indoeuropäer. Indoeuropäer sind heute in allen bewohnten Kontinenten der Erde vertreten; ihre Zahl ist höher als 2,7 Milliarden. D.h. wir – Indoeuropäer – zählen auf dem Planet (und im Weltall!) mehr als 2,5 von den 7,4 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben.

In Besetzung von 4 Milliarden der Nostratiker machen wir mehr als 56% aus, in Besetzung von 6 Milliarden der Eurasier – 83%, in Besetzung von 6,7 Milliarden von Boreern machen wir 92,6% der Bevölkerung der Erde aus, und in Besetzung von 7 399,6 Mio. Afroeurasiern machen wir den ganzen „ausatmenden“ Teil (fast 100%) der Menschheit aus, der die „ausatmenden“ Sprachen spricht. Am Rande dieser „großen Vereinigung“ (Begriff aus der Physik der hohen Energien) bleiben nur Khoisansprechende (weniger als 370 Tausend Vertreter der fast ausschließlich kapoiden Rasse, die die Sprechenden auf den  25 Khoisanischen Sprachen umfasst, sowie die Sprechenden auf den Sprachen-Isolaten Sandawe, Hadza und vor kurzem in Angola ausgestorbenen Kwadi.

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Die gesamte Zahl der Deutsch sprechenden Menschen auf der Erde, die es:

— als Muttersprache sprechen, beträgt 98 Mio.,

— als zweite Sprache sprechen, beträgt 16-20 Mio.

Die deutsche Sprache ist eine der am meisten benutzten Sprachen in der Welt, sie nimmt unter allen Sprachen den 10. Platz ein. Sie ist eine der gängigen Sprachen: Deutsch sprechen mehr als 90 Mio. weltweit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die deutsche Sprache heterogen ist, was zusätzliche Schwierigkeiten bei der Erfassung einer genauen Zahl der Deutsch sprechenden Menschen schafft. Einige deutsche Dialekte und Mundarten, die zum westgermanischen Sprachkontinuum zählen, kann man nicht mehr der deutschen Sprache zuordnen, deshalb wird die Zahl der Menschen, die diese Sprachen sprechen, nicht berücksichtigt.

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Deutsch ist eine der offiziellen Sprachen der Europäischen Union, sowie eine der Arbeitssprachen neben dem Englischen und Französischen. In Europa ist Deutsch seiner Verbreitung nach am 2. Platz nach dem Englischen.

Deutsch wird auch in vielen regionalen und internationalen Sportföderationen benutzt.

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In der Welt werden heute 95 offizielle Sprachen ausgesondert. Der Zahl der Länder (6) nach, in denen Deutsch als offizielle Sprache gilt, belegt es den 6. Platz, nach dem Englischen (56 Länder), Französischen (29 Länder), Arabischen (24 Länder), Spanischen (20 Länder), Portugiesischen (8 Länder). Es geht dem Italienischen (4 Länder), Russischen (4 Länder), Niederländischen (3 Länder), Serbischen (3 Länder), Aymara, Albanischen, Quechua, Chinesischen, Koreanischen, Malaiischen, Suaheli, Tamilischen, Türkischen, Kroatischen und Schwedischen (alle Sprachen je 2 Länder) voran; die übrigen Sprachen sind nur in einem Land offiziell.

Deutsch ist in den folgenden 6 Ländern offiziell:

— in Österreich,

— in Belgien (neben dem Französischen und Niederländischen),

— in Deutschland,

— in Lichtenstein,

— in Luxemburg (neben dem Luxemburgischen und Französischen),

— in der Schweiz (neben dem Französischen, Italienischen und Rätoromanischen).

Wenn man offizielle Sprachen je nach der Bevölkerung der Länder, wo sie offiziell sind,  aussortiert (diese Daten stimmen mit der Zahl der Menschen, die diese Sprache sprechen, nicht überein: so, Englisch ist die offizielle Sprache Indiens, aber es benutzen die staatlichen Behörden, nicht die Bevölkerung), dann nimmt Deutsch (109 323 900 Menschen) den 13. Platz in der Welt ein, nach dem Englischen, Chinesischen, Hindu, Spanischen, Französischen, Arabischen, Portugiesischen, Indonesischen, Russischen, Urdu, Bengalischen. Es geht aber dem Tagalog, Vietnamesischen, Suaheli, Amharischen, Persischen, Koreanischen, Türkischen, Italienischen, Thailändischen, Birmanischen, Afrikaans, Ukrainischen, Aymara, Quechua, Polnischen, Kurdischen, Nepalischen, Dari und anderen 64 Sprachen voran.

Als offizielle Sprache wird Deutsch in Österreich – 8 420 010 Menschen (2013), in Belgien – 78 Tausend Menschen, in Deutschland – 80 523 746 Menschen (2013), in Lichtenstein – 36 281 Menschen (30.06.2011), in Luxemburg – etwa 474 Tausend Menschen, in der Schweiz – 5 Mio. Menschen (etwa 67 % der Schweizer sprechen Deutsch), in Italien (in der Region Südtirols, neben dem Italienischen) – etwa 330 Tausend Menschen) benutzt.

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Als Sprache der nationalen Minderheiten wird Deutsch (nach der absteigenden Zahl der Sprechenden) in Frankreich (1,2 Mio. Menschen), den USA, Brasilien, Russland, Kanada, Niederlanden, Kasachstan, Argentinien, der Südafrikanischen Republik, Großbritannien, Ungarn, Israel, Paraguay, Polen, Australien, Irland, Spanien, Mexiko, Griechenland, Rumänien, der Ukraine, Tschechien, Namibia, der Dominikanischen Republik, Thailand, der Türkei, Kirgisien, Dänemark, Chile, Venezuela, Serbien, der Slowakei, Lettland, Litauen, Kroatien, Estland, Slowenien (1 628 Menschen) benutzt.

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In Russland, dessen Bürger ich bin, sieht die Situation mit der deutschen Sprache laut der Angaben der zwei letzten Volkszählungen folgenderweise aus.

Laut der Volkszählung aus dem Jahr 2002 beherrschten 2 895 147 Menschen in Russland die deutsche Sprache (1,5% der Menschen, die ihre Sprachbeherrschung angegeben haben), darunter 2 313 484 Russen, 81 421 Tataren, 188 673 Russlanddeutsche.

Laut der Volkszählung aus dem Jahr 2010 beherrschen 2 069 949 Menschen in Russland die deutsche Sprache (1,5% der Menschen, die ihre Sprachbeherrschung angegeben haben), darunter 1 720 616 Russen, 56 396 Tataren, 85 685 Russlanddeutsche. Die Zahl der Russen, die Deutsch beherrschen, ist in der Zeitperiode zwischen den beiden Volkszählungen deutlich gesunken.

Die Zahl der deutschen Bevölkerung in Russland verringert sich in den letzten Jahrzehnten. 1979 wurden auf diesem Territorium (damals als Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) bezeichnet) 842 295 Deutsche gezählt, 2002 – 597 212 Deutsche und im Oktober 2010 – nur 396 138 Deutsche.

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In Tatarstan, wo ich wohne (Republik Tatarstan ist einer der 85 Regionen der Russischen Föderation), sieht die Situation mit der deutschen Sprache nach der Angaben der Allrussischen Volkszählungen folgenderweise aus.

Von den Menschen, die ihre Sprachbeherrschung angegeben haben (seit Oktober 2010 hat sich hier nicht Vieles verändert), beherrschen 34 946 Menschen die deutsche Sprache (2002 haben sie 45 520 Menschen beherrscht): darunter 15 929 Tataren ( 2002 – 20 942, darunter 211 Keräschen), 16 184 Russen (2002 – 20 932), 673 Tschuwaschen (2002 – 909), 119 Udmurten (2002 – 140), 306 Ukrainer (2002 – 525), 117 Mordwine (2002 – 165), 163 Mari (2002 – 210), 156 Baschkiren und etwa 320 Russlanddeutsche. 2002 wurden in dieser Liste 2 183 Vertreter anderer Nationalitäten (einschließlich der Russlanddeutschen selbst) nicht berücksichtigt, sowie 3 Menschen, die ihre Nationalität während der Volkszählung nicht angegeben haben. 2002 wurden in Tatarstan 2 882 Russlanddeutsche gezählt (der 15. Platz in der Republik nach der Zahl unter anderen Nationalitäten), 2010 – 2 200, 62 Menschen weniger (nach wie vor der 15. Platz).

Nach Angaben der letzten Volkszählung nimmt Deutsch im Zusammenhang mit der Zahl der Menschen, die die deutsche Sprache verstehen, sprechen und lesen können, den 5. Platz nach dem Russischen (der 1. Platz, 3 683 899 Menschen), Tatarischen (2. Platz, 1 965 498 Menschen), Englischen (der 3. Platz, 178 345 Menschen) und Tschuwaschischen (der 4. Platz, 102 787 Menschen) ein. Den 11. Platz in Tatarstan hat Französisch eingenommen, den 14. – Türkisch, den 17. – Arabisch, den 22. – Spanisch, den 24. – Italienisch, den 26. – Polnisch, den 29. – Latein, den 30. – Chinesisch und den 36. – Japanisch.

Bei der Volkszählung im Jahr 2010 haben 327 Tatarstaner Deutsch als Muttersprache angegeben, darunter 5 Russen und 2 Tataren (entsprechend der Zahl der Menschen, die ihre Muttersprache bei der letzten Volkszählung genannt haben, hat Deutsch den 23. Platz in der Republik Tatarstan eingenommen).

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Werdegang und Entwicklung der deutschen Sprache im Vorfeld Luthers

Die deutsche Sprache hat für ihre Ausgliederung  aus dem Urnostratischem und dem Urindoeuropäischen und für ihre Etablierung als selbständige Sprache etwa 12 Tausend Jahre gebraucht.

Das Urnostratische ist ein hypothetischer Vorläufer der Sprachen, die zur nostratischen Makrofamilie gehören.

Als Autor der nostratischen Hypothese, die 1903 aufgestellt wurde, gilt der dänische Linguist Holger Pedersen. Anfang der 1960-er Jahre entwickelte der Moskauer Slawist W.M. Illich-Svitych die nostratische Theorie wesentlich weiter, später beschäftigten sich russische Wissenschaftler A.B. Dolgopolski, V.A. Dybo und S.A.Starostin aktiv damit.

Auf Grund der glottochronologischen Berechnungen stellten die Wissenschaftler eine Periodisierung des Zerfalls der nostratischen Sprache vor. Die erste Gliederung erfolgte im 11. Jahrtausend v. Ch., als sich das Urkartwelische und das Urdravidische absonderten. Danach im 10. Jahrtausend zerfiel die nostratische Ursprache in das Urindoeuropäische und das Ural-Altaische. Noch ein Tausend Jahre später zerfiel sich die ural-altaische Einheit.

Das Urindoeuropäische ist ein von den Linguisten rekonstruierter Vorläufer der Sprachen der indoeuropäischen Familie. Laut der zurzeit am meisten verbreiteten Meinung besiedelten die Urindoeuropäischsprachler die Wolga- und Schwarzmeerregionsteppen.

Das Urindoeuropäische war eine entwickelte flektierende Sprache, in der das Substantiv nach 3 Zahlen und 8 Kasus dekliniert wurde, und das Verb nach 3 Zeitformen, 2 Genera und 4 Modi konjugiert wurde.

Die Tochtersprache des Urindoeuropäischen war das Urgermanische – ein hypothetisch rekonstruierter Vorläufer der germanischen Sprachen.

Bis zum Zerfall der urindoeuropäischen Spracheinheit gehörten die Vorfahren der Germanen (neben den Vorfahren der Slawen und Balten) zu den Volksstämmen, die zur archäologischen Streitaxt-Kultur (oder der schnurkeramischen Kultur, oder der Einzelgrabkultur) zählten – einer archäologischen Kultur der Kupfersteinzeit und der Bronzezeit, die 3200 bis 2300 v. Chr. – 2300 bis 1800 v. Chr. auf weiten Territorien des Zentral- und Osteuropas verbreitet war. In der Bronzezeit entsprechen der Anfang und das Ende des Aussonderungsprozesses der urgermanischen Sprache zeitlich etwa der archäologischen kulturellen Existenz der nordischen (der skandinavischen, nördlichen, nordeuropäischen) Bronzezeit (1700-500 v. Chr.).

Mitte des 1. Jahrtausends besiedelten die Träger des Urgermanischen Südskandinavien, Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und anliegende Gebiete. Zum Beginn unserer Zeitrechnung ließen sie sich im Süden von Flandern bis zum Weichsel nieder und traten mit Kelten in Kontakt.

Träger des Späturgermanischen werden normalerweise mit Kulturen der sogenannten vorrömischen Eisenzeit (nach der Klassifikation von Oskar Montelius) assoziiert, unter denen die Jastorf-Kultur einen führenden Platz hatte.

Die vorrömische Eisenzeit Nordeuropas ist ein Begriff, der die frühe Eisenzeit auf dem Territorium Skandinaviens, Norddeutschlands und der Niederlande nördlich vom Rhein (V.-I. Jh. v. Chr.) umfasst. In den Regionen, wo germanische Kulturen der vorrömischen Eisenzeit existierten, wurden flächendeckende archäologische Ausgrabungen durchgeführt und viele Forschungsartefakten gefunden. Diese Kulturen sind direkte Nachfolger – ohne Unterbrechung – der Kulturen der nordischen Bronzezeit, aber unterscheiden sich von den letzteren durch einen starken Einfluss der keltischen Hallstattkultur, die damals in Mitteleuropa herrschte (900-400 v. Chr., Kelten, Illyrer, Thraker). Später kam die La-Tene-Kultur an die Reihe, die auch einen Einfluss auf die Germanen ausübte. Zum I. Jh. v. Chr. wurde der römische Einfluss sogar auf dem Territorium Dänemarks erkennbar und bald kommt die Epoche der römischen Eisenzeit (1-400 n. Chr.).

Die La-Tene-Kultur ist eine keltische archäologische Kultur der Eisenzeit (V-I Jh. v. Chr.), die im ganzen Mittel- und Westeuropa (Frankreich, die Schweiz, Spanien), auf dem Balkan, in Kleinasien; Britannien und Irland verbreitet war. Sie bekam ihren Namen von der Siedlung La-Tene in der Schweiz, die einige Kilometer von Neuchatel entfernt war. Vor allem war das die Kultur der zahlreichen keltischen Stämme: Gallier, Britten und vieler anderen; aber zu ihren Gründern gehören auch Iberer, Ligurer, Illyrer, Thraker. Die La-Tene-Kultur ist Nachfolgerin der Hallstatt-Kultur in den westlichen Regionen ihrer Verbreitung. Ein fließender Übergang dazu erfolgt im V. Jahrhundert v. Chr. Zum I. Jahrhundert wird die La-Tene-Kultur durch die römische Provinzkultur unterdrückt.

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Die Geschichte der deutschen Sprache hat ihren Ursprung im frühen Mittelalter, als Sprachen der alten Germanen in Kontakt zueinander kamen (die ethnografische Beschreibung dieser Stämme und Stammesverbände wurde von Römern nicht früher als zu Beginn unserer Zeitrechnung unternommen), und somit die Grundlage für die Herausbildung der gemeinsamen Sprache bildeten.

Die Sprache der alten Germanen war nie einheitlich, und unterschiedliche germanische Stämme haben ihre sprachliche Variante noch im II.-III. Jh. gesprochen. Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachvarianten wurden noch deutlicher infolge der späteren großen Völkerwanderung. Im III. Jahrhundert kamen die Burgunder aus dem Oder-Gebiet an den Rhein. Im V. Jahrhundert siedelten Angeln mit einem Teil der Sachen, Friesen und Jüten auf die Insel Britannien um, was für die Herausbildung der englischen Sprache sorgte. Die Sprachen von Alemannen, Bajuwaren, Franken, Sachsen, Thüringern und Friesen haben in der Folgezeit den Grundstein zur Herausbildung der deutschen Sprache gelegt.

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Das Niederdeutsche (Niederdeutsch, Plattdeutsch; Selbstbenennungen: Nederdüütsch, Plattdüütsch, Plautdietsch) ist die Sprache, die sich aus niederdeutschen Dialekten zusammensetzt, die vor allem im Norden Deutschlands, im Nord-Osten der Niederlande sowie in Dänemark verbreitet sind. Es zählt zur westgermanischen Gruppe des germanischen Zweiges der indoeuropäischen Sprachen. Phonetisch unterscheidet es sich wesentlich vom Hochdeutschen, aber ist dem Niederländischen nah (das letztere wird manchmal dazu gezählt, und zwar im Rahmen der niederfränkischen Gruppe).

Die Sprache und die Dialekte, die dazu gehören, beeinflusste die  zweite Lautverschiebung nicht, was eine unterschiedliche Entwicklung der hoch- und niederdeutschen Dialekte bedingte. Bis zum XX. Jahrhundert gab es viele literarische Werke auf dem Niederdeutschen, es wurde aktiv im Alltag benutzt. Als offizielle Sprache der Hansa und der Kalmarischen Union (und nach ihrem Zerfall – Schwedens und der dänisch-norwegischen Union bis zur Mitte des XVIII. Jahrhunderts), übte es einen großen Einfluss auf die kontinentalen skandinavischen Hochsprachen aus. In dieser Periode erfolgte die Entwicklung der Sprachgeschichte des Mittelniederdeutschen (etwa um 1200-1600) und die Verbreitung des Lübecker Dialektes, weil Lübeck die Hauptstadt der Hansa war. Der Begriff „Mittelniederdeutsch“ umfasst nicht nur die Schriftsprache, sondern auch viele Dialekte der damaligen Zeit (die heute jedoch schwer zu rekonstruieren sind). Die mittelniederdeutsche Schriftsprache ist in vielen schriftlichen Dokumenten, Büchern und Umschriften erhalten geblieben. Nach dem Hansa-Zerfall wurde die Sprache vor allem mündlich benutzt. Schon seit dem XVI. Jahrhundert geht die Rolle als gesamtnationale Sprache allmählich an das Hochdeutsche über, in diesem Zusammenhang wird das Niederdeutsche verdrängt. Die Industrialisierung und die Urbanisierung Deutschlands am Ende des XIX.  Jahrhunderts führte zum aktiven Verfall der niederdeutschen Sprache. Zurzeit wird sie als Muttersprache von einer Bevölkerungsminderheit in Norddeutschland, hauptsächlich von älteren ländlichen Menschen (nicht mehr als 5 Mio.) gesprochen. Ihr Schicksal ähnelt sich dem der okzitanischen Sprache in Frankreich.

Zurzeit entwickelt sich das Hochniederdeutsche (das keine weite Verbreitung findet) getrennt in Deutschland und in den Niederlanden.

Es war die Muttersprache vom Archäologen Heinrich Schliemann.

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Das Plautdietsch (die niederpreußische Variante des Ostniederdeutschen) wird in vielen Ländern (von Nachfahren der deutschen Auswanderer) benutzt – vor allem in Lateinamerika (in Paraguay, Mexiko, Belize, Bolivien, Brasilien) und in Kasachstan. Dieses Dialekt beherrschten bis vor kurzem einige meine Verwandte aus den Russlandsdeutschen.

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Den Rückblick auf die Entwicklung, das Funktionieren, das Zusammenwirken und die Rolle der niederdeutschen und der hochdeutschen Sprachen im deutschsprachigen europäischen Raum kann kurz auf folgende Weise zum Ende geführt werden (ausführlichere Informationen dazu gibt es unten): bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts deckten sich die Begriffe „die deutsche Sprache“ und „die niederdeutsche Sprache“; seit dem XVI. Jahrhundert wurde es logisch, die Begriffe „die deutsche Sprache“ und „die hochdeutsche Sprache“ als zusammentreffend zu halten. An so einem historischen Rollenwechsel der niederdeutschen und der hochdeutschen Sprachen war Martin Luther, der berühmte Übersetzer der Bibel ins Hochdeutsche, nicht unbedeutend beteiligt.

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Den Entwicklungsprozess des Althochdeutschen, das als erste Stufe auf dem Wege zum modernen Deutsch angesehen wird, verbindet man mit der zweiten Lautverschiebung, die im VI. Jahrhundert erfolgte (die erste Lautverschiebung, die eigentlich zur phonetisch-morphologischen Trennung der germanischen und der indoeuropäischen Sprachen führte, wird auf die VI-V. Jahrhunderte v. Chr. datiert).

Die erste Stufe dieser Entwicklung, die seit Anfang des VII. Jahrhunderts bis zum Jahr 1050 dauerte, wird als die althochdeutsche Periode bezeichnet. Etwa 3 Jahrhunderte danach (bis 1350) dauert die mittelhochdeutsche Periode. Im Zeitraum von 1350 bis zum 1650 erfolgt die Entwicklung des Frühhochdeutschen, seit 1650 – des Neuhochdeutschen, dessen Entwicklung auch heute weiter läuft. Die genaue Datierung der Entwicklungsperioden der deutschen Sprache kann genau nicht bestimmt werden, deswegen sind die Zeitrahmen provisorisch. Außerdem vollzog sich der Entwicklungsprozess der deutschen Sprache in verschiedenen Regionen des deutschsprachigen europäischen Raumes ungleichmäßig, was eine Vielzahl von Unterschieden auf der Dialektebene bedingte.

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Die althochdeutsche Sprache (Althochdeutsch) ist die älteste Form der deutschen Sprache, die schriftlich belegt ist. Sie umfasst den Zeitraum vom Jahr 750 bis zum Jahr 1050. Aber es ist zu berücksichtigen, dass die Zeitrahmen provisorisch sind, weil sich die sprachlichen Veränderungen nach den führenden Parametern chronologisch nicht immer übereinstimmen. Außerdem schlagen die Wissenschaftler unterschiedliche Periodisierungen der althochdeutschen Sprache vor.

Das Althochdeutsche ist keine einheitliche und homogene Sprache, wie man aus dem Begriff schlussfolgern könnte, sondern eine Bezeichnung für eine Gruppe der ostgermanischen Dialekte, die südlich der sogenannten Benrather Linie gesprochen wurden. Die Benrather Linie erstreckte sich vom Düsseldorfer Stadtteil „Benrath“, der einer der 49 Stadtteile Düsseldorfs war und im 9. Südkreis am Ufer Rheins und Itter lag). Diese Dialekte unterschieden sich von den anderen westgermanischen Sprachen oder Dialekten durch die zweite Konsonantenverschiebung. In den Dialekten, die nördlich der Benrather Linie (in der Gegend des norddeutschen Tieflandes und auf dem Territorium der heutigen Niederlande) gesprochen wurden, gab es keine zweite Konsonantenverschiebung. Diese Dialekte haben die Bezeichnung der altsächsischen (seltener altniederdeutschen) bekommen. Aus der altsächsischen Sprache entwickelten sich die mittel- und die neuniederdeutsche Sprachen.

Da das Althochdeutsche eine Gruppe der nächstverwandten Dialekte darstellte, gab es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache. Als althochdeutsche Literaturdenkmale gelten hauptsächlich religiöse Texte (Gebete, Bibelübersetzungen), einige westliche Gedichte („Hildebrandslied“) oder einfache Überschriften, Beschwörungen  usw.

Im Zusammenhang mit der politischen Lage im X. Jahrhundert gingen die Schriftsprache im Allgemeinen und das Verfassen und das Aufzeichnen der Texte besonders auf der deutschen Sprache in die Rapusche. Die Renaissance der Schriftlichkeit auf der deutschen Sprache wird im Weiteren erst seit 1050 beobachtet. Da sich das Schriftgut des XI. Jahrhunderts der Lautungsform nach und in grammatischer Hinsicht wesentlich von den früheren Texten unterscheidet, wird die deutsche Sprache seit 1050 als Mittelhochdeutsch bezeichnet. Die dritte Periode in der Entwicklung der hochdeutschen Sprache wird als Frühneuhochdeutsch bezeichnet, und die letzte, die vierte – als Neuhochdeutsch. Das ist schon eine gesamtnationale hochdeutsche Sprache.

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Luther und die deutsche Sprache

Martin Luther hat sich mit seinen arbeitsvollen Taten bei der Bibelübersetzung (das Neue Testament 1521-1522 – prinzipiell wurde es aus dem Griechischen, nicht aus dem Lateinischen übersetzt; das Alte Testament 1529-1534, zusammen mit Philipp Melanchton übersetzt) definitiv in den Entwicklungsprozess der hochdeutschen Sprache sofort nach dem Höhepunkt ihrer dritten, frühhochdeutschen Stufe gekeilt. Mit anderen Worten wurde der Werdegang des Neuhochdeutschen nicht von Luther vollendet, aber er hat einen wesentlichen Beitrag zu diesem Prozess geleistet. Die von Luther übersetzte Heilige Schrift  (zusammen mit dem treuen Freund und Gefährten Johann Kaspar Aquila) erlaubte schon in den nächsten Jahren die Normen der gesamtdeutschen Sprache festzulegen.

Diese säkulare Bibelübersetzung Luthers wurde sowohl von den Zeitgenossen als auch von den Nachfahren gewürdigt. Natürlich, gab es vor Martin Luther schon 18 Übersetzungen der Bibel ins Deutsche (darunter auch die berühmte Zürcherische Bibel). Aber die historische Bedeutung der Lutherschen Bibelübersetzung sowohl für die deutsche Sprache als auch für die Reformation ist in ihrer Wechselwirkung kaum zu überschätzen. Es lässt sich kaum besser sagen, als es Johann Cochlaeus (1479-1552), deutscher Humanist, katholischer Glaubenslehrer und berühmter Musikwissenschaftler, überzeugter Gegner Luthers, gemacht hat:

„Das Neue Testament wurde durch die Buchdrucker kolportiert und verbreitet, so dass selbst Schneider und Schuster, eben, selbst Frauen und ungebildete Menschen, die dieses lutherische Evangelium wahrnahmen und etwas Deutsch konnten – sie haben es mit großer Begeisterung als Wahrheitsquelle studiert. Einige lernten es auswendig und trugen im Ärmel mit. In Monatenschnelle begannen diese Leute sich für Gelehrte zu halten, so dass sie sich ohne Beklemmung trauten, über den Glauben und das Evangelium nicht nur mit Laienbrüdern-Katholiken, sondern auch mit Priestern und Klosterbrüdern sowie Glaubenswissenschaftlern zu diskutieren“. Hervorragend!

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Luther selbst und sein im deutschen Bewusstsein verankerte Bild sind im Mittelpunkt der Bewegung, die sich auf die Schaffung der gesamtdeutschen Sprache gerichtet ist. Alle von Luther unter seinen Zeitgenossen verbreiteten persönlichen Geistesanregungen passten zu seinem sprachlichen Talent des Reformators, sowie zu den inneren Kräften der von ihm vertretenen Religionsbewegung; all das begünstigte die Entwicklung jener sprachlichen Einheit, die immer mit seinem Namen verbunden war. Wenn sich Luther, nach seiner eigenen Behauptung, bewusst der gesamten deutschen Sprache angeschlossen hatte, der Sprache, die in der Kanzlei des Kurfürsten Sachsens im Gebrauch war, konnte er sich jedoch an diese Sprache nur orientieren, und nicht einfach übernehmen. Die Kanzleisprache hatte keine allumfassenden Äußerungsmittel, die für so ein Werk wie die Übersetzung der Heiligen Schrift, dieses Buches Gottes nötig waren. Außerdem befanden sich die deutschen Kanzleisprachen in starker Abhängigkeit von der lateinischen Syntax; sie waren lebensfremd und hatten keine mitreißende Begeisterung, die nötig war, um nicht nur das Gemüt einzelner Gelehrten und Fürsten, sondern auch breite Bevölkerungsschichten und ihre heimlichen Gefühle beeinflussen zu können, wie es Luther wollte. Deshalb gab sich Luther alle Mühe, benutzte alle Kräfte seiner Individualität und sprachlicher Geschicklichkeit, um eine Variante der ostmitteldeutschen Kanzleisprache, die zu seiner Verfügung stand, zu bereichern. In Anlehnung auf die lokalen Traditionen, gab er ihr so eine Form, die nur nach äußeren Zeichen mit dem „Ausgangsmaterial“ zu vergleichen war. Die Wortbildung und der Satzbau, der Stil und vor allem der Wortschatz Luthers gehen weit über die Grenzen der sächsischen Kanzleisprache hinaus, ohne sich von der phonetischen und morphologischen Grundlage loszureißen, auf der die relative Einheit dieses Sprachtyps beruhte. Die Schaffung nicht nur der allgemeinen, sondern auch der literarischen und dichterischen Sprache als Ergebnis der Tätigkeit Luthers lässt sich durch das Bestreben nach der Volkstümlichkeit erklären, das für seine Persönlichkeit und sein Schaffen kennzeichnend war. Die in der damaligen Zeit existierten allgemeinsprachlichen Tendenzen bekamen dank dieser zwei Tatsachen einen sehr starken Impuls. Indem Luther alle Rhetorikformen der Humanisten vermied, benutzte er einfache, oft auch grobe, aber immer treffende Redewendungen. Laut seiner eigenen Aussage sowie aus den Protokollen der Konferenzen, die der Bibel gewidmet waren, ist uns bekannt, wie viel Kraft Luther verbrauchte, als er mit Hingabe während mehrerer Jahrzenten an der Sprache arbeitete, um in sich selbst diese Fähigkeit zu entwickeln. Im Zeitalter, in dem die Lesefertigkeit immer breiter wurde, war die Bibel Luthers ein Werk mit großer sprachlicher Ausdruckskraft, das in Tausenden von Exemplaren in allen Gebieten Deutschlands erschienen war, sogar in den katholischen und nicht nur gelesen, sondern auch auswendig gelernt wurde (wie es der überzeugte Gegner Luthers Johann Cochlaeus bezeugt hatte). So, konnte die Bibel zusammen mit Schreiben Luthers, seinen Reden und religiösen Liedern, die auch in so einer faszinierenden Sprache verfasst wurden, eine viel festere Grundlage für die gesamtnationale Sprache schaffen, als es die Sprachen der Kanzleien und der Buchdrucker hätten schaffen können, weil auf diesen Sprachen nur die Werke entstanden waren, die rein literarisches Interesse wecken sollten, oder die didaktische Literatur, die sich am Rande des Kampfes des Fortschrittes mit der alten, in die Vergangenheit gehenden Reformationszeit befand. Laut Max Weber hat das lutherische Predigt nicht nur einen Anstoß zur Reformation gegeben, sondern wurde sie auch zum Wendepunkt bei der Entstehung des Kapitalismus und hat den Geist der Neuen Zeit bestimmt.

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Martin Luther wird in Deutschland als der zweitgrößte Deutsche anerkannt. Nach Angaben der Befragung des öffentlichen Fernsehsenders Deutschlands aus dem Jahr 2003 (November), an der 3 Mio. Zuschauer teilgenommen haben, hat der Reformator Martin Luther 556 298 Stimmen bekommen, gegenüber 778 984 Befragten, die für Konrad Adenauer abgestimmt haben. Karl Marx hat den 3. Platz eingenommen (500 442 Stimmen). Aber vom Tod des großen Sachsen sind schon mehr als 457 Jahre vergangen!

Victor Dietz

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